Der große Skandal
Andrei Erofeev in Moskau vor Gericht
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks
Andrei Erofeev, 53, der Bruder des Schriftstellers Viktor Jerofejew , ein zugleich angesehener und in Russland umstrittener Kurator, der für die Tretjakow Galerie den Aufbau einer Sammlung zeitgenössischer Kunst besorgte, ist durch die beiden Ausstellungen „Soz Art“ und „Verbotene Bilder 2006“ in die Rolle des postsowjetischen Dissidenten geraten, ohne ein solcher zu sein. Bisher gab es zwar in der westlichen Presse kurzen Nachrichten, Artikel, Berichte und wieder Berichte, aber keiner, der die wahren Hintergründe dieses Prozesses aufdeckte. Dabei ist dieser Fall, der im extremen Fall dazu führen kann, dass Andrei Erofeev für 5 Jahre hinter Gittern muss, exemplarisch. Er führt vor, wie derzeit die russische Gesellschaft funktioniert und welche Bedeutung der Kunst zugewiesen wird, Um mehr über die gesamte Vorgeschichte und die Hintergründe zu erfahren, traf sich Heinz-Norbert Jocks in einem Café in der Nähe des Moskauer Puschkin Platzes mit dem Mann, der derzeit jeden Donnerstag vor Gericht steht, seines Dienstes suspendiert wurde und dennoch im öffentlichen Fernsehen auftritt.
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H.-N.J.: Wie war die Situation der zeitgenössischen Kunst im sowjetischen System, in dem Sie aufwuchsen?
A.E.: Ich gehöre der in den 50er Jahren geborenen Generation an, die zwei ganz unterschiedliche Leben gelebt hat, das erste unter dem sowjetischen Regime und das zweite bereits in einem ganz anderen Land. Wir führten beide Leben nicht nur auf verschiedene Weise, sondern auch mit anderen Geschwindigkeiten. Zum einen, weil wir unterschiedliche Berufe ausübten, und zum anderen, weil wir in unterschiedlichen Familien mit anderen…