Gilbert & George
Der bigotte Charme der homophoben Bourgeoisie
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks
Gilbert & George, die sich als lebende Skulpturen verstehen, haben die Fotografie revolutioniert und den Körper des Mannes in den Mittelpunkt der Kunst gerückt. Und das auf eine unverkennbare, eben einzigartige Weise, die bis heute nicht so recht gewürdigt wird. Ihr Begriff von Kunst ist seit jeher am Leben orientiert und kennt da weder Berührungsängste noch Grenzen. Dass in Rezensionen immer wieder das homosexuelle Begehren erwähnt und als Erkennungszeichen fixiert wird, hat sie nicht deshalb gestört, weil sie aus ihrer Liebe und Beziehung ein Geheimnis machen wollen, im Gegenteil. Vielmehr ist ihnen die Definition der schwulen Kunst höchstsuspekt, weil sie die Wahrnehmung viel zu stark einengt und immer noch die Abgrenzung zum eisernen Prinzip hat. In einem Manifest von 1986 verkündeten Gilbert & George die Mission ihrer Kunst: “Wie wollen alles Gute und Böse in uns entdecken und es akzeptieren. Die Zivilisation war für ihren Fortschritt immer auf Menschen angewiesen, die sich verausgaben. Wir wollen unser Blut, unser Hirn und unseren Samen verspritzen im Dienste unserer lebenslangen Suche nach neuen Bedeutungen und neuen Sinn für das Leben.” Dass sie eine Kunst für alle wollen, daraus haben sie nie einen Hehl gemacht. Nein, aus der hermetischen Enge einer Kunstwelt auszubrechen, die letztlich vor sich hinschmort, entspricht der aufrichtigen Haltung zweier Künstler, deren Bilder genau das thematisiert, was die Existenz des Menschen in ihrer Essenz ausmacht. Es geht ihnen darüber hinaus auch darum, möglichst alle Menschen anzusprechen, um sie für…