Die Dialektik des Staunens
21 Fragmente und Fotografien
von Maria L. Felixmüller
01 CHAOS
Im Schrecken, in der Angst und der Faszination, steckt das Staunen. Jeden Tag kann uns etwas begegnen, das sich uns nicht sofort erklärt, das uns überrascht, erstaunt und interessiert.
Die wüste Unordnung, das tohuvabohu, das sich im Inneren der Seele im Angesicht von etwas Unbekanntem auftun kann, ist derartig schrecklich, dass es ausgelagert wurde. Während die Verwüstung des tohuvabohu vorher innerlich stattfand, wenn man sich dem Chaos – zum Beispiel bei unerklärlichen Naturereignissen – ausgesetzt sah und mit den unendlichen formlosen Einbildungen kämpfte, ist das empfundene Unwohlsein nun ins Außen verlagert.
Erst wird es benannt und dadurch in einen Namen gebannt. Dann wird der Name für etwas Ähnliches, aber viel Harmloseres verwendet. Durch die Benennung entsteht Distanz und es wird nun als harmlos empfunden. Das Schreckenspotenzial der unendlichen Vorstellungen ist gezähmt. Das Chaos ist nicht mehr allumfassend; es ist nur noch nicht ordentlich, es ist unordentlich. Diese Auslagerung ist die Basis für die Bändigung von Angst und Furcht im Angesicht des Chaos.
02 MONSTER
Die Urangst vor dem Unbekannten musste von der Menschheit überwunden werden und jedes Kind, das heranwächst, vollzieht diesen Schritt nach. Das Kind gleicht einem primitiven Menschen in der Dunkelheit; die Gefahr lauert prinzipiell immer und überall.
Auf der einen Seite ist es vor Neugier getrieben, will wissen, erfahren, lernen und herausfinden. Auf der anderen Seite ist all das, was das Kind erlernt und erfahren hat, sprungbereit im Gedächtnis gelagert.
In der Dunkelheit wird es zur furchterregenden Gefahr. Das Monster ist unter…