Berlin
Eintritt in ein Lebewesen
Von der Sozialen Skulptur zum Plattform-Kapitalismus
Kunstraum Kreuzberg 18.05.– 16.08.2020
von Michael Hauffen
Netzkunst kann heute bereits ein historisches Interesse reklamieren. Sie begann als Parallelsystem zum eigentlichen Kunstsystem, das sich dank breiter Förderung durch Hochschulen und Technologieunternehmen behaupten konnte. Schnittstellen zum orthodoxen Kunstbetrieb waren oftmals solche Nebenschauplätze wie bei der documenta 9, die mit dem Projekt Piazza Virtuale (Van Gogh TV, 1992) täglich eine Stunde Fernsehprogramm produzierte. In dieser Sternstunde der multimedialen Kommunikation wurden genuine Konzepte der Medienkunst erstmals in großem Umfang erprobt. Ein zweiter historischer Bezugspunkt ist für den Kurator Tilman Baumgärtel allerdings noch brisanter, nämlich die Freie Demokratische Universität, die Joseph Beuys 1977 ebenfalls auf einer documenta realisierte, und die erstmalig den musealen Raum für die aktive Beteiligung aller öffnete. Der reformerische Optimismus mit spirituellen Obertönen wurde von einer tief in den Untergrund reichenden Installation untermauert: der Honigpumpe. Sie sollte der Quintessenz dessen Geltung verschaffen, was der gesellschaftliche Gesamtarbeiter unter der Oberfläche verdinglichter Warenproduktion an kreativem Vermögen erzeugt.
Auch wenn kein Zweifel darüber bestehen dürfte, dass diese beiden Ereignisse zurecht als Ursprungsmythen kolportiert werden, wird man aus heutiger Sicht von der geringen Nachhaltigkeit der vielversprechenden Anfänge enttäuscht sein müssen. Es besteht sogar der Verdacht einer direkten Linie vom Ruf nach Interaktivität zu jenen paradigmatischen Clickworkern, die für minimale Entlohnung einigen Konzernen zu gigantischen Profiten verhelfen, während die vormals als Befreiung gefeierte Partizipation in einer neoliberalen Wüste zum digital kontrollierten Nutzerverhalten mutiert.
Die vielen versammelten Arbeiten liefern dafür aufschlussreiche Belege. Natalie Bookchin zeichnet das Bild einer postmodernen Community mit…