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Titel: Entzauberte Globalisierung · von Heinz-Norbert Jocks · S. 48 - 49
Titel: Entzauberte Globalisierung ,

Entzauberte Globalisierung

Alternative Visionen des Polykulturellen
Herausgegeben von Heinz-Norbert Jocks

Die Globalisierung ist entzaubert und ihr Versprechen, Kontinente und Menschen näherzubringen, noch nicht eingelöst. Wie lange nicht mehr befindet sich die Welt in einer Schieflage. Hier die Monopolisierung der Weltwirtschaft. Dort der Kalte Krieg zwischen den Großmächten. Neben der Flüchtlingskrise die wiedererstarkten Nationalismen und die Einigelung beinah aller Länder aufgrund der Pandemie. Und nun die Proteste gegen den Rassismus.

Auch die Globalisierung der Kunstwelt, die 1989, verglichen mit der wirtschaftlichen, erst spät mit der Ausstellung „Magiciens de la Terre“ von Jean-Hubert Martin in Paris eingesetzt hat, erleidet derzeit pandemiebedingt einen schweren Rückschlag. Doch bereits vorher war die kulturelle Globalisierung von eklatanten Widersprüchen geprägt. Denn der interkontinentale Austausch leidet nicht nur unter Ungleichgewicht und kolonialen Spätfolgen. Er birgt darüber hinaus die Gefahr der Homogenisierung der Kunstproduktion.

Dieser KUNSTFORUM Band widmet sich dem komplexen Phänomen der kulturellen Globalisierung in Gesprächen mit jenen, die den Prozess der Globalisierung eingeleitet und vorangetrieben haben. Über ein Resümee und eine kritische Analyse der aktuellen Situation hinaus werden neue Wege des Polykulturellen aufgezeigt. Ebenso die Möglichkeit einer Post-Globalisierung.

In seiner Einführung zeigt Heinz-Norbert Jocks, dass Kunst seit jeher durch Vermischung mit anderen Kulturen entsteht. Dabei geht er von den Belles Cuisines aus, die nichts anderes als Hybride sind. Entsprechend verfolgt Peter Weibel die in die Kunstwelt eindringenden Migrationsströme. Er fragt, was sich verschiebt, wenn Museen wie die Nationalgalerie in Berlin eines Tages von einem Nicht-Westler geleitet werden. Entscheidend für das Überleben Europas als Kunstkontinent sei das Wissen darum, dass die Post-Europa-Ära angebrochen ist, so Weibel. Auf die Überwindung des Eurozentrismus zielte Jean-Hubert Martin 1989 mit seiner einst angefeindeten Pariser Schau, die erstmals nicht-westliche und westliche Künstler ohne Hierarchie ausstellte. Sein Konzept beruhte darauf, dass die visuelle, überall auf der Welt hervorgebrachte Expression die Menschheit verbindet.

Mit dem Problem, dass sich die westliche Kunstwelt auch heute, 31 Jahre nach der legendären Show, immer noch mit Künstlern anderer Weltgegenden schwertun, setzt sich Carolyn Christov-Bakargiev auseinander. Sie beklagt die Herrschaft westlicher Kriterien, die Werke indigener Künstler abqualifiziert.

Als Pionier, der Künstler aus Afrika in Europa zeigte, kritisiert auch Simon Njami die Überheblichkeit des Westens. Dieser erlaube sich, nichts über Afrika zu wissen. Statt die unterschiedlichen Geschichten des Kontinents wahrzunehmen, lüge er sich eine Geschichte wahr. Für Hans Ulrich Obrist gibt es weder ein nationales Gefühl noch eine Zugehörigkeitsempfindung. Ausgehend von Édouard Glissant, der die Beschleunigung globalisierender Prozesse durch die Technologie voraussah, geht es Obrist um einen globalen Dialog durch eine kuratorische Praxis, die Differenzen zulässt, statt sie auszulöschen.

Der Frage, wie Chinas zeitgenössische Kunst im Westen angekommen ist, widmet sich Uli Sigg. Er markiert nicht nur, wie diese sich durch die Globalisierung verändert hat; er setzt sich zudem mit der westlichen Rezeption auseinander. Über die Notwendigkeit einer anderen Kunstgeschichte spricht David Elliott ebenso wie über seine Entdeckungen in Japan, Australien und Osteuropa.

Um die Rolle des Kunstmarktes als Motor der Globalisierung geht es in dem Gespräch mit Marc Spiegler. Der Chef der weltweit führenden Kunstmesse Art Basel begründet, warum diese sich selbst globalisierte und ihre Pforten in Miami und Hongkong öffnete. Als Galeristin ist Esther Schipper eine der wichtigsten Protagonisten der Globalisierung, die darlegt, wie die Kunstmessen die Etablierung kleiner Galerien erschwert. Ein Künstler könne heute nur durch Präsens auf Messen Sichtbarkeit erlangen.

Erweitert wird der Band um Statements von namhaften Künstlern, Kuratoren, Sammlern, Galeristen, Sinologen und Autoren auf der Basis von Fragen, die Heinz-Norbert Jocks ihnen gestellt hat.

von Heinz-Norbert Jocks

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