Relektüren
Folge 58
Rainer Metzger
„Das kubanische Volk wird leiden, aber es wird siegen“: Aktuelle Einschätzungen werden gern einmal prekär, wenn sie historisch werden. Sechzig Jahre nachdem dieser Satz geschrieben wurde, ist es entsprechend schwer, ihn auf seine Richtigkeit hin zu taxieren. Sein erster Teil ist auf jeden Fall zutreffend: Das kubanische Volk hat gelitten. Aber hat es gesiegt? Und lässt es sich von heute aus so haargenau bestimmen, dass es, im Gegenteil, verloren hat? Frantz Fanon hat vielleicht gut daran getan, den Satz ganz woanders zu platzieren als es diese Relektüre tut. Er hat ihn in einer Fußnote versteckt. Das tut der Kühnheit des Gedankens keinen Abbruch. In eben den Wochen, da er formuliert wurde, hatten sich die Amerikaner in das Debakel mit der Landung an der Schweinebucht am 17. April 1961 verstrickt und Fidel Castros Revolution auf der Zuckerinsel zu so etwas wie einer Vollendung gebracht. Fanon wird es auf jeden Fall recht gewesen sein. Seine Solidarität mit den Unterdrückten war universal.
Die Verdammten dieser Erde ist das Manifest schlechthin der Entkolonialisierung. Fanon hatte den Tod vor Augen, als er sich daran machte, die Leukämie war unheilbar. In einem Moment, da sich, wie er am 7. April des Jahres in einem Brief nach Paris formuliert, „mein Gesundheitszustand leicht verbessert hat“, macht er sich daran, „etwas zu schreiben“, gerade auch, weil „mich meine Leute ausdrücklich dazu aufgefordert haben“ (die Briefstelle in Annie Cohen-Solals Biografie von Jean-Paul Sartre, erschienen 1985 bei Rowohlt, S. 655). Seine Leute waren die Kombattanten von der Front de…