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Kunstforum-Gespräche · von Ronald Berg · S. 417 - 419
Kunstforum-Gespräche , 2010

Kunst ist kein Selbstzweck

Christoph Türcke im Gespräch mit Ronald Berg über die Ursprünge und das Wesen von Kunst und ihre Stellung im gegenwärtigen Kunstbetrieb

Christoph Türcke, geboren 1948 in Hameln, ist ordinierter Pfarrer, Wissenschaftsautor und seit 1993 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. In diesem Jahr erhielt er den „Sigmund-Freud-Kulturpreis“. Die Auszeichnung wird 2009 erstmalig von der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft vergeben. Türckes letzte Bücher Erregte Gesellschaft (2002), Vom Kainszeichen zum genetischen Code (2005) und insbesondere Philosophie des Traums (2008) verquicken philosophische, psychoanalytische, reglionswissenschaftliche und kulturanthropologische Überlegungen und beziehen sie nicht zuletzt auf die Rolle der Kunst für den Menschen. Das Gespräch fand im Frühjahr 2009 in Leipzig statt.

***

RB: Herr Türcke, eine einfache aber schwierige Frage: Was ist Kunst? Haben Sie eine Antwort?

CT: Kunst ist ein großer sozialer Schonraum, eine Sphäre der Verrückung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Dieser Schonraum hieß bei den Griechen asylon: Zufluchtsstätte, Asyl. Das Asyl ist ein sakraler Ort. Ich glaube, daß man Kunst nicht begreifen kann, wenn man vom sakralen Ort ihres Ursprungs absieht. Kunst ist der sakralen Sphäre entsprungen. Entsprungen in doppeltem Sinne: wie die Quelle dem Berg, aber auch wie der Gefangene dem Gefängnis. Diesen Doppelsinn gilt es zu beachten, damit nicht das nostalgische Mißverständnis aufkommt, die Kunst müsse zurück zur Religion, um wieder authentisch zu werden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil die Kunst nie ganz von der Religion losgekommen ist, ist sie unfähig, sich völlig unabhängig von ihren religiösen Quellen zu artikulieren. Auch die…

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