Schöne Aussichten, schöne Einsichten
Erkenntnisse bei Spazier- und Museumsrundgängen mit Künstler*innen und Kunstinteressierten
von Johannes Stahl
Auf der Suche nach dem Wahren, Schönen, Guten sollte man sich auf Spaziergänge begeben und an weniger frequentierten Orten umschauen. Die offene Blickweise fördert vieles zutage, was man im zielgerichteten Alltag übersehen und kaum überdenken würde. Wer dabei von Künstler*innen begleitet wird, kann von deren geübten Blicken profitieren. „Was man sieht: man sieht alles“ sagt dazu der Allroundkünstler Manos Tsangaris, und lässt dieses Statement auf Postkarten und Stofftaschen drucken, im Wissen um falsch verstandenes und allzu oft falsch herbeizitiertes Bildungsbürgertum, um Konsumkultur, Navis, Audioguides und ähnlichen Widersachern von etwas, das Aby Warburg die Menschenrechte des Auges genannt hat.
Die Skepsis gegenüber normativen Schönheitsvorstellungen ist groß. Wenn aber nun eine Straße „Schöne Aussicht“ heißt und der Geburtsort einer interessanten Frau des 19. Jahrhunderts ist, lohnt es sich, diese einmal anzuhören und sich die Straße anzusehen. Das zumindest schlug die Langenhagener Künstlerin Dagmar Schmidt während eines Rundgangs mit Publikum 2022 durch das vordocumentäre Kassel vor. Malwida von Meysenbug, eine Visionärin in Bezug auf Frauenrechte und -möglichkeiten betrachtete den Ort ihrer Kindheit so: „Es würde schwer sein, inmitten einer größeren Stadt ein besser gelegenes Haus zu finden, als das war, in welchem ich geboren wurde und die ersten Tage der Kindheit verlebte. Es gehörte zu einer Reihe von Häusern, die eine Straße begrenzten, der man mit Recht den Namen Bellevue gegeben hatte, denn an der gegenüberliegenden Seite waren keine Häuser, sondern man genoss der herrlichen Aussicht auf schöne Garten- und…