Vom Salon zum Lärm der Straße
Schlagfeste Argumente in Kunst und Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts
von Oliver Zybok
I. Bruch mit dem Üblichen
Kann Pionierarbeit überhaupt geleistet werden, ohne aufgebrachte Reaktionen nach sich zu ziehen? Die europäische Kunst- und Musikgeschichte bringt zu Beginn des 20. Jahrhunderts genügend Beispiele hervor, um diese Frage zu verneinen. Zahlreiche Impulse in bildender Kunst und Musik spalteten in der damaligen Zeit Besucher und Publikum in Gegner und Befürworter. Die Anliegen beider Gruppen standen sich gleichermaßen ablehnend und unvereinbar gegenüber. Auseinandersetzungen jeglicher Art, die von Beleidigungen über Handgreiflichkeiten bis zu größeren Tumulten reichten, waren nicht selten einkalkulierte Skandale anlässlich Eröffnungen von Ausstellungen mit neuen Kunstströmungen jener Zeit und von Aufführungen experimenteller neuer Musik. Viele sind in Kritiken und persönlichen Berichten überliefert. Sie beziehen sich vor allem auf Ereignisse in den Kunstvereinen, die sich – meist nur unter erheblichen Protest – für die damalige zeitgenössische Kunst verantwortlich zeigten.1
Vor allem vor dem Ersten Weltkrieg war die Akzeptanz einer anderen Wahrnehmung, ausgelöst durch die neuen Kunstströmungen wie den Expressionismus, nicht besonders groß. Viele Präsentationen sorgten für einen Publikumsandrang, aber nicht im positiven Sinne, wie ein Bericht hinsichtlich des Ausstellungsprogramms vom Hamburger Kunstverein aus dem Jahr 1913 verdeutlicht: „Nicht etwa, daß die Mitglieder des Kunstvereins auf die ,Moderne‘ schwören, und deren Verständnis a priori für sich in Anspruch nähmen. Im Gegenteil. Ihr Erscheinen ist eine Demonstration, ein Protest wider den Versuch der Einbürgerung der Moderne in jene Räume, in denen ihnen gewissermaßen die Übung des Hausrechts zusteht.“2 August Macke hielt Ende…