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Titel: ACT! Die entfesselte Performance · von Heinz Schütz · S. 46 - 45
Titel: ACT! Die entfesselte Performance ,

ACT! Die entfesselte Performance

herausgegeben von Heinz Schütz

Performance Art erlebte ihre inzwischen klassische Ausprägung in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Sie galt damals als die neueste und herausforderndste Kunstform. Nachdem sie in den Achtzigerjahren ihren Höhepunkt überschritten hatte, schien es, dass sie als eine Kunstform unter anderen Kunstformen, gemessen an ihrer vorherigen Bedeutung, eine Art Schattendasein führte. Ein neu erwachtes Interesse am Performativen zeigte sich dann in der zunehmenden Zahl an Reenactments und Appropriationen, die bis heute unter unterschiedlichen Vorzeichen fortdauern. Inzwischen entwickelten sich die Begriffe „Performance“ und „performativ“ zu einer Art von „magischem“, zeitadäquatem Versprechen.

Selbst Künstler*innen, die gewöhnlich in anderen Medien arbeiten, treten mit Performances an die Öffentlichkeit. Performative Kunst hat Einzug ins Museum gehalten und wird bei Großereignissen wie die Biennale Venedig mit Preisen dekoriert. Die performative Kunst der Gegenwart hat das klassische Performance-Verständnis erweitert respektive hinter sich gelassen und zeigt sich in unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Das Performative entwickelte sich zum nur noch schwer zu ignorierenden Maßstab.

Zwei KUNSTFORUM Bände befassten sich bereits mit der „Urban Performance“ (Band 223 und 224), die meist interventionistisch und immer wieder in der Nähe zur politischen Demonstration im öffentlichen Raum agiert. Der vorliegende Band nähert sich der performativen Kunst aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Im ersten Abschnitt wird das – zumindest idealtypisch betrachtet – Kernpostulat der klassischen Performance aufgegriffen: „The artist is present.“ Über die Unterscheidung verschiedener Dimensionen von Anwesenheit erfolgt eine Annäherung an die Performance-Kunst der Gegenwart.

Ein Abschnitt des Bandes diskutiert performative Kunst hinsichtlich sozialpolitischer Fragestellungen. Ausgehend von Demonstrationen vor dem Brandenburger Tor und von „Black Performances“, die zur selben Zeit in der Berliner Akademie der Künste stattfinden, schlägt Nana Adusei-Poku einen Bogen von der künstlerischen zur gesellschaftlichen Performance. In einem Gespräch mit der Künstlerin Mona Hatoum wird deutlich wie Körper zum Objekt der Politik werden können und warum Hatoum den Übergang von ihren frühen Performances zu den jüngeren Installationen und Objekten vollzieht. Der meist unhinterfragt positiv konnotierte und von Performances immer wieder aufgegriffene Anspruch der Partizipation wird von Kai van Eikels mit Blick auf Demokratisierungsversuche im Kunstbereich kritisch reflektiert.

Die Performance-Situation heute ist geprägt von der Expansion des Performativen. Der Tänzer, Choreograf und Performance-Künstler Xavier Le Roy spricht über das Verhältnis von Tanz und Performance und seine spezifische Form der ortsspezifischen und immer wieder partizipativen Choreografie. Mathieu Copeland radikalisiert den Ansatz des Choreografischen und leitet daraus ein Ausstellungsverständnis jenseits der Objektfetischisierung ab. Im Gespräch mit der Künstlerin Florence Jung wird ersichtlich, wie weit sich performative Kunst heute von der klassischen Performance entfernt hat: die Künstlerin ist abwesend und das Publikum wird zum eigentlichen Akteur. Wie weit im Kunstbereich angesiedelte Performances als Zitat, Appropriation und eigenständige Inszenierung in den Modebereich hineinreichen führt Pamela C. Scorzin vor Augen.

Performance Art blickt inzwischen auf eine lange Geschichte zurück. Ihr ephemerer Charakter wirft die Frage nach ihrer Tradierbarkeit auf. Mit Blick auf Performance-Archive skizziert Pascale Grau den Stand der Debatte, die Performance nicht nur als ein vergangenes und abgeschlossenes Ereignis betrachtet, sondern sie bis in die Gegenwart hineinreichen lässt. Im Gespräch mit der Performance-Kuratorin Catherine Wood wird deutlich wie ein Museum wie die Tate Modern mit historischen Performances umgeht und wie sie die Präsentation von zeitgenössischen Performances institutionalisiert. Die Wahrnehmung von Performances erfolgt heute weitgehend über das Internet. Wenn Ulf Otto das Digitale gegen das klassische Anwesenheitspostulat ins Spiel bringt, stellt sich die Frage nach der Zukunft des Performativen.