Ein Gefühl von Weltuntergang
Auf der 58. Biennale von Venedig setzt Ralph Rugoff ein weiteres Zeichen gegen die Themen-Biennalen.
Das Schöne und das Schreckliche liegen bei seiner Schau friedlich nebeneinander
von Ingo Arend
Der verrostete Schiffsleib in Blau und Braun am Rande des grünblauen Wasserbeckens der Arsenale wie ein toter Wal. Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini schäumte ob der Tatsache, dass das Wrack zum Eyecatcher der 58. Biennale geworden war. Weit über 800 Flüchtlinge starben, als das Gefährt am 18. April 2015 zwischen der libyschen Küste und der Insel Lampedusa bei der Kollision mit einem portugiesischen Frachter sank.
Italiens damaliger Regierungschef Matteo Renzi wollte das Todesschiff auf Europatournee schicken, um den Rest der EU an den „Skandal der Migration“ zu erinnern. Nach Renzis Abgang will es eine Initiative um den Künstler Christoph Büchel als „trojanisches Pferd“ für das Menschenrecht auf freie Bewegung durch den alten Kontinent senden. „Politische Propaganda“ schalt Salvini seine Zwischenstation in Venedig.
So richtig in das Kunstverständnis von Ralph Rugoff passt Büchels Werk Barca Nostra nicht. „Kunst ist keine Nachricht, die wir schnell entziffern und verstehen können“, ließ der US-amerikanische Semiotiker, Jahrgang 1965, seit 2006 Direktor der Londoner Hayward Gallery, schon im Vorfeld der von ihm kuratierten Schau verlauten.
Sehr viel mehr als eine ziemlich durchsichtige politische Geste ist Büchels Arbeit nicht. Spätestens in dem Moment, als das Kunst-Paar Eva und Adele sich im rosaroten Zwillingskostüm vor dem Wrack zum Selfie postierte, wurde die moralische Fragwürdigkeit deutlich, das stählerne Massengrab realer Flüchtlinge dem artifiziellen Eventtourismus als Kulisse einzuverleiben: Dem Schiff direkt gegenüber schlürft…