vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Titel: Ostdeutschland · von Paul Kaiser · S. 96 - 107
Titel: Ostdeutschland ,

Sackgassen und Wendeschleifen

Die Ostdeutsche Kunst als symbolischer Streitfall der deutschen Wiedervereinigung
von Paul Kaiser

Dreißig Jahre nach der ‚unerhörten Begebenheit‘ des Mauerfalls (Wolf Lepenies) erscheint eine gesamtdeutsche Einordnung des Kunstschaffens im Osten Deutschlands weiterhin als ein konfliktreicher Prozess. Ein Grund dafür ist der in den 1990er Jahren vollzogene totale Abbruch des „Kunstkombinates DDR“ – mit seinen aus westlicher Perspektive zumeist unverständlichen außerkünstlerischen systemischen Eigenheiten, die von Regelwerken der Auftragsvergabe und der lizenzierten Verbandsmitgliedschaft über die Ermöglichung privilegierter In- und Auslandsreisen bis hin zu den alltäglichen Dingen von Rentenversorgung, Urlaubsdienst und Sozialversicherung reichten. Die (Selbst-)Zerstörung des DDR-Kunstsystems entließ jedenfalls die in ihm lange Zeit schaffenden Künstler mit der „Wende“ in ein gänzlich anderes Kunstsystem, dass mit seinen kapital- und prestigegestützten Netzwerken, Galerien, Großsammlern, Kunstmessen, Rankings und Repräsentationsritualen den „Neuzugängen“, von Ausnahmen abgesehen, allenfalls Plätze an Katzentischen bot.

Die in der DDR lange erhoffte Freiheit demokratischer Verhältnisse musste durch die weitgehende Ignoranz des westlichen Kunstbetriebes, insbesondere aber des Kunstmarktes, gegenüber den Leistungen ostdeutscher Kunst für viele der zirka 6.000 im Verband Bildender Künstler lizenzierten Akteure (darunter zirka 1.200 Maler, Grafiker und Bildhauer) somit nur als eine Schimäre erscheinen. Daran änderten auch gewichtige Initiativen von westdeutschen Privatsammlern wie etwa von Peter Ludwig oder Hasso Plattner kaum etwas – wie auch die seit Anfang der 2000er Jahre stattfindenden Retrospektiven zu einer „Kunst in der DDR“ in Berlin (2003, 2009), Nürnberg (2009) und Weimar (2012) allenfalls Korrekturen bei der medialen Präsenz und einer nachholenden wissenschaftlichen Forschung erreichten. Sucht man den Grund für diese mit Entwertungsgefühlen verbundene Erfahrung…

Kostenfrei anmelden und weiterlesen:

  • 3 Artikel aus dem Archiv und regelmäßig viele weitere Artikel kostenfrei lesen
  • Den KUNSTFORUM-Newsletter erhalten: Artikelempfehlungen, wöchentlichen Kunstnachrichten, besonderen Angeboten uvm, jederzeit abbestellbar
  • Exklusive Merklisten-Funktion nutzen
  • dauerhaft kostenfrei