Sichtbarkeit in Kunst & Politik
von Roland Schappert
Die erste Mondlandung lässt sich nicht einfach abhängen und ins Depot verbannen. Sie war 1969, weiß und männlich. Woher kommt die Hysterie, mit der wir uns vor der Geschichte schämen, was bedeutet es für unsere Zukunft, wenn wir zugeben müssen, dass der Mond nicht von schwarzen Feministinnen lesbischer, heterosexueller oder bisexueller Prägung erobert wurde? Wollen wir die Geschichte zurückdrehen, umdrehen oder unter anderen Vorzeichen wiederholen, neu schreiben und korrigieren? Wer jetzt nicht Ja sagt, der sollte das vielfältige und diversifizierte Umfeld kulturellen Geschehens schleunigst verlassen. Ich möchte hier keine Debatte weiter anheizen, kein Öl oder Wasser ins Feuer schütten, nicht reflexartig über Kollektive von Aktivistinnen und Aktivisten sprechen, die beispielsweise vor einer Ausstellungseröffnung des Künstlerhauses Bethanien in Berlin einen sarkastisch verfassten Brief an den künstlerischen Leiter Christoph Tannert richteten.1„Darin kritisieren sie die mangelnde Diversität der Künstlerliste und eine Vereinnahmung afro-futuristischer Ideen, ohne dass schwarze Künstler oder Künstlerinnen an der Ausstellung beteiligt seien.“2
DEMOKRATIE UND IDENTITÄTSPOLITIK
Wer möchte denn öffentlich bestreiten, dass es wichtig ist, den Blick immer wieder zu weiten und neu zu fokussieren, Benachteiligung und Unterdrückung zu bekämpfen, weitere Sprachrohre für Minderheiten und Unerhörte zu errichten? Aber hilft die Hysterie weiter, die sich gegenwärtig auch im Kunstbetrieb breitgemacht hat? Vielleicht erleben wir schon wieder Zeiten diskursiver Überhitzung. Eine Klimakatastrophe der Identitätspolitik könnte sich anbahnen nach der langen Debatte der überzogenen Auktionspreise und Marktpolitik. Interessant wäre der Frage nachzugehen, wie viele identitätspolitische Debatten in welchem Ausmaß unser derzeitiges Politikverständnis auszuhalten vermag, ohne in Lähmung zu verfallen,…