Krištof Kintera
Postnaturalia oder die Natur nach der Natur
von Herbert Kopp-Oberstebrink
POSTAPOCALYPTICA, POSTNATURALIA UND DIE NATÜRLICHE SCHÖNHEIT DES KABELSALATS
Die raumfüllende Installation Postnaturalia (2017) des in Prag lebenden und arbeitenden Künstlers Krištof Kintera gehört zu der faszinierenden Art von Arbeiten, die sich unter dem Blick des Betrachters beständig zu verändern scheinen. Der Blick aus der Ferne in den Ausstellungssaal zeigt eine Überfülle schwer identifizierbarer Gegenstände, ein Sammelsurium, das sich flächig ausbreitet und von Kabeln oder Schläuchen durchzogen ist. Tritt der Besucher dann ein und versucht, einzelne Elemente dieses kaum entwirrbaren Gewimmels näher in den Blick zu nehmen, wird das Gemeinsame des Materials deutlich: Es handelt sich um Computerschrott, um das in Einzelteile zerlegte und in der Fläche wuchernde Innenleben von Computern. Zoomt sich der Blick freilich ganz nah heran und gleitet über diese Agglomeration, so vollzieht sich eine wundersame Verwandlung: Die vermeintliche Unordnung lässt vage Strukturen erkennen, einzelne Elemente – Transistoren, Halbleiter, Dioden, Leiterplatten, Module, zerlegte Motherboards, Stecker – treten hervor, rechteckige oder tonnenartige Formen, ihre regelmäßige Gruppierung und Anordnung sowie urbanen Lebensadern gleichende Kabelbahnen.
Post-apokalyptische Stadtlandschaften aus der Vogelperspektive? Ja, gewiss – oder hat man es nicht doch eher mit einer botanischen Formation zu tun? Die zahlreichen Kabel durchziehen nun, langen Wurzelbahnen gleich, das flächige Gebilde mit seinen unscharfen Rändern und verzweigen sich. An manchen Stellen ragen Blüten, Stängel und metallene Rohrkolbengewächse auf. Teile des Wurzelsystems erstrecken sich bis zu den Ausgängen des Ausstellungssaales und setzen sich in die benachbarten Räume fort; andere verbinden im selben Raum, Ausläufern oder Stolonen gleich, kleinere,…