Yury Kharchenko
Jüdische Tradition und malerische Abstraktion: Eine Identitätssuche
von Michael Nungesser
Yury Kharchenko galt als Wunderkind. Früh interessierte er sich für bildende Kunst, und die Entscheidung Künstler zu werden erschien ihm als alternativlos, „da die Verbundenheit und Auseinandersetzung mit der Kunst seit meiner frühen Kindheit da war und auch noch von der Umgebung gefördert worden ist“1. 1986 in Moskau geboren, kam er 1998 mit seinen Eltern als „jüdische Kontingentflüchtlinge“ nach Dortmund, erhielt dort zwei Jahre danach bei dem ebenfalls emigrierten ukrainisch-jüdischen Dichter und Künstler Vilen Barsky ersten Malunterricht. Von 2004 bis 2008 studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie – seine Lehrer waren Markus Lüpertz (*1941) und Siegfried Anzinger (*1953) – und stellte 2007 erstmals einzeln aus, sowohl in Düsseldorf wie in Köln. Noch keine dreißig Jahre alt, hatte er zu einer eigenständigen Bildsprache gefunden, die ihn zu einem der herausragenden Vertreter zeitgenössischer Malerei machen. Integraler Bestandteil dieser Entwicklung ist Kharchenkos Besinnung auf seine jüdische Herkunft und Identität, die mit der Zeit immer mehr in den Vordergrund rückt. Seine Kunst ist davon ästhetisch anfangs weniger ikonographisch betroffen denn in ihrer durch Form und Farbe vermittelten Gestaltung, die individuelles Ausdrucksvermögen und geistige Bewusstwerdung bedeuten, für die religiöse Traditionen Wegzeichen darstellen.
Figurative Elemente, die sich u. a. aus der frühen Begeisterung Kharchenkos für Marc Chagall ergeben, verbinden sich mit abstrakt-expressiven Ausdrucksformen, abgeleitet v. a. aus der US-amerikanischen Entwicklung nach 1945. Seine Nähe zur Kunst von Mark Rothko (1903 – 1970) oder Barnett Newman (1905 – 1970), Emigranten jüdischer Herkunft, liegt nahe, da sie, neben anderen Vertretern…