Tote Natur ?
Stein und Petrefakt, Wüste und Arktis als Dimensionen der Kunst im Anthropozän
von Hartmut Böhme
VEREISUNG UND VERWÜSTUNG BEI JULIAN CHARRIÈRE
In der Berliner Galerie DITTRICH & SCHLECHTRIEM, die sich besonders solcher Künstler annimmt, die mit Bio-Art, künstlerischer Forschung und globalökologischen Fragen experimentieren, ist eine Arbeit des schweizerischen Künstlers Julian Charrière (*1989) zu besichtigen: Auf einem eleganten Edel-stahl-Podest ist ein nach allen vier Seiten doppelverglaster Showcase montiert, eine Tiefkühl-Vitrine. In ihrem Inneren erkennt man die Spitze einer großen, kakteenartig ausgefächerten, ‚prähistorischen‘ Pflanze, die bei Minus 196° durch Eintauchen in flüssigen Stickstoff kryonisiert wurde und nun, mit Eis zugewuchert, bei Minus 20° konserviert wird. Eine Skulptur. Aber gleichsam auch ein Fossil der Kreidezeit, zu der Charrière arbeitet, in ewigem Eis, in vereister Zeit. Je nach den klimatischen Außenraum-Temperaturen sind auch die Glasscheiben entweder eisfrei oder von zarten Eisschichten überzogen, die ihrerseits pflanzenartige Ornamente bilden.
Das Werk wird mit Tropisme betitelt, wie auch andere skulpturale Arbeiten, in denen sich Charrière mit der überaus heißen Kreidezeit beschäftigt, die abrupt, durch einen gewaltigen Meteoriten-Einschlag vor 65 Millionen Jahren, mit einer fast völligen Auslöschung von Flora und Fauna endete – das Ende auch des Dinosaurier-Zeitalters. Für Charrièrre sind diese Pflanzen Zeugen der ewigen Gegenwart erhaltener DNA von Pflanzen und Tieren, die ihrerseits ausgestorben sind. Sie begegnen nun im Kunstraum und gehören im weiteren Sinne zu dem Projekt, an dem die Bio-Art arbeitet: der Geoästhetik, durch welche die Erdgeschichte und ihre heute prekären Aussichten ebenso zum Thema werden wie etwa der Klimawandel, der die Gestalt (das ‚Gesicht‘,…